Was ist "Fine-Art" Fotografie?
Der Begriff "Fine-Art" ist im Prinzip - streng übersetzt - die "bildende oder schöne Kunst".
Folgt man der Encyclopædia Britannica so waren die wichtigsten bildenden Künste historisch die Malerei, die Skulptur, die Architektur, die Musik und die Poesie bzw. die darstellenden Künste mit dem Theater und dem Tanz.
Heute umfasst die bildende Kunst meist noch als zusätzliche Formen den Film, die Fotografie und die Videoproduktion / -bearbeitung sowie Design und Grafik.
"Fine-Art Photography" ist in meinen Augen eine Fotografie, die in Übereinstimmung mit der Vision des Fotografen als Künstler geschaffen wurde.
Nun kann man - nach Helmut Schmidt - sagen "Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen", aber die Fotos aus dem Bereich "Fine-Art Photography" unterscheiden sich doch sehr von der gegenständlichen Fotografie.
Schauen wir uns z.B. den Fotojournalismus mit einer dokumentarischen, visuellen Darstellung spezifischer Themen und Ereignisse an.
Hier kommt es darauf an, die Wirklichkeit möglichst unverändert abzubilden.
Einigen von Ihnen ist evtl. noch die Diskussion um das Foto des schwedischen Fotografen Paul Hansen im Jahre 2013 in Erinnerung. Das mit dem World Press Photo Award ausgezeichnete Foto aus Gaza-Stadt löste eine Diskussion aus, wie "objektiv" ein Foto sein muss und was die World Press Photo Foundation mit dem Satz "The content of the image must not be altered. Only retouching which conforms to the currently accepted standards in the industry is allowed." wirklich meint.
Danach ist nur eine Retusche erlaubt, die den derzeit anerkannten Standards der Branche entspricht.
Ist Lightroom also mit all seinen Möglichkeiten in diesem Zusammenhang überhaupt noch ein probates Mittel zur "Entwicklung" der Fotos?
Und ist, wie Paul Hansen es machte, eine Nachbearbeitung des Lichtes eine zulässige Bild-Manipulation oder nicht?
Nach seiner Darstellung habe er in der Nachbearbeitung das Licht ausgeglichen, das Bild mit unterschiedlichen Lichtstärken entwickelt und diese Fotos dann übereinander geblendet.
Ist das Fotojournalismus und Handwerk oder ist das Kunst und damit Fine-Art Photography?
Ist nicht evtl. schon die Wahl des Bildausschnittes eine "Manipulation" der Wirklichkeit?
Meiner Meinung nach zeigt ein Foto immer die individuelle Interpretation der Realität - beeinflusst von der persönlichen Wahrnehmung des Fotografen.
Die Realität wird durch den Aufnahmestandort, die Brennweite und damit den Bildausschnitt, die gewählte Blende und dadurch die Schärfentiefe und die Belichtungszeit verändert.
Ist nicht auch schon das JPEG, das aus einer Kamera kommt, eine Interpretation der Wirklichkeit, so wie Nikon, Canon, Sony oder Fuji die Wirklichkeit sehen und mittels Kamera-Firmware darstellen?
Als am 19. August 1839 Louise Daguerre offiziell die Erfindung der Fotografie bekannt gab und dabei sein Foto "Boulevard du Temple" vorstellte, war es sehr schnell üblich, mit Kohle die Kontrastlinien des Bildes nachzuzeichnen und Flächen zu schwärzen, um damit die Kontraste zu verändern.
Die Nachbearbeitung eines Bildes - heute z.B. mit Lightroom oder Photoshop - ist nur eins von vielen Gestaltungsmitteln, mit denen der Fotograf das Bild so entwickelt, wie er die Wirklichkeit gesehen hat.
Aber ist Fotografie nun Kunst oder Handwerk?
Zuerst einmal Handwerk, denn der Fotograf / Photograph (oder auch Lichtbildner) ist ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf, der die Möglichkeit zur Weiterbildung zum Meister in Fotografie (auch Fotografenmeister) oder durch ein Weiterbildungsstudium an einer höheren Fachschule zum staatlich geprüften Techniker der Fachrichtung Fototechnik, bietet.
Im künstlerischen Bereich gibt es den Studiengang Master of Arts (M.A.), die künstlerische Meisterklasse oder ein Meisterschülerstudium.
Ob wir es nun mit Kunst zu tun haben, hängt im Wesentlichen von der Einstufung der Arbeiten als eigenschöpferische Leistungen des Schaffenden ab. Man spricht hier auch von einer künstlerischen Gestaltungshöhe. Und damit von einer "Hervorbringung von Gegenständen und Gestaltungen nach persönlichen, nicht erlernbaren Begabungen".
Fine-Art Photography / Kunstfotografie ist als Definition schwer fassbar.
Als Fotograf denke ich dabei zuerst an Magnum Photos, American Photo [leider zwischenzeitlich eingestellt], Popular Photography oder an renommierte Ausstellungen wie z.B. im NRW-Forum Düsseldorf, im Fotografie Forum Frankfurt, oder im Museum für Fotografie mit der Helmut Newton Stiftung, in Berlin.
Wobei ich finde, dass es Fotos von „sehr bekannten“ Künstlern gibt, die - isoliert betrachtet - vermutlich nie in eine Ausstellung gekommen wären, wenn hinter dem Bild nicht ein „großer“ Name stehen würde.
Auf der anderen Seite sieht man bei kleinen Ausstellungen von z.B. Hobbyfotografen hin und wieder ein Foto, dass wirklich eine „eigenschöpferische Leistung“ beinhaltet.
Wobei die meisten Fotos auf solchen Ausstellungen mich eher an Arbeiten aus dem Kunstunterricht der Primarstufe erinnern.
Ein Stück Obst in einen Topf mit Milch zu werfen, oder ein Glas umzustoßen und das zu fotografieren, hat nichts aber auch gar nichts mit einer „künstlerischen Gestaltungshöhe“ zu tun, denn das haben schon Hunderte vorher gemacht. Das ist einfaches Handwerk. Nichts gegen Handwerk – aber nicht jedes Handwerk ist auch Handwerkskunst.
Für mich ist "Fine-Art Photography" die Erstellung von Bildern / Fotos um bestimmte kreative EIGENE Ideen zu verwirklichen.
Dabei ist es mir egal, ob das Ergebnis ein reines RAW-Foto oder eine bearbeitete Photoshop-Datei als Basis hat.
Ziel ist es letztlich, ein Bild zu erzeugen, das auf etwas mehr als nur eine realistische Darstellung eines Objekts abzielt, also quasi die Interpretation eines Moments und dabei versucht, eine persönliche Wahrnehmung bzw. eine Emotion zu erzeugen.